Ronde van Vlaanderen 2015

2005 war ich das erste Mal nach Belgien ,genauer nach Flandern, gefahren, um dort die Strecke des Profiradrennens Ronde van Vlaanderen einen Tag vor den Profis abzufahren. Damals noch auf der ‚richtigen‘ Strecke mit dem Finale Muur van Geraadsbergen und Bosberg. Das Ziel lag in Ninove.
Seit einigen Jahren endet das Rennen in Oudenaarde. Böse Zungen sprechen seitdem von einem ‚Kriteriumsrennen‘ rund um diese Stadt. Dabei wird drei(!) Mal über den Oude Kwaremont und Paterberg gefahren.
Die Hobbyversion einen Tag vor dem großen Frühjahrsklassikers kann natürlich so nicht mehr über die originale Strecke führen. Also keine drei Mal über Kwaremont und Paters. Wie soll das auch bei 16000 Teilnehmern funktionieren? Bei der Hobbyversion fährt man nur einmal über diese Hellinge; dafür werden noch einige andere Hügel in der Umgebung abgefahren die eigentlich gar nicht zum Radrennen gehören; um so auf die Distanz von 245km zu kommen. Trotzdem stellt diese ähnlich anspruchsvolle Strecke so früh im Jahr immer wieder eine besondere Herausforderung für mich da.
Deswegen fuhr ich also nun schon zum 10. Mal zu diesem Event nach Flandern.
Der Startort ist in Brügge. Dort bezog ich am Freitag ein Hotel und hatte danach noch Zeit um einen Spaziergang durch diese schöne Stadt zu machen. Dann ging es früh ins Bett.

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Am Samstag klingelte um 4:30 der Wecker. Ein erster Blick aus dem Fenster beruhtigte mich: Der vorhergesagte Regen war nicht da. Alles war trocken.
Nach einem Müslifrühstück zog ich mich an. Bei den angesagten Temperaturen von 3-12°C und frischen Wind vertraute ich auf winterliche Thermoklamotten. Als ich mein Rad aus dem Auto holte setzte schließlich doch ein leichter Nieselregen ein. Da hatte ich noch die Hoffnung, das es ja nur ‚Nebelnässe‘ war; und kein richtiger Regen!
In der Dunkelheit machte ich mich um 6:00 zunächst auf den Weg zu der Nummernausgabe im Jan-Breydell-Stadion. Dort holte ich meine Startunterlagen ab und befestigte die Startnummer mit intregierten Chip an meinen Lenker. Mit diesem Chip würden auf der Strecke an einigen Hellingen die Zeit genommen und Liveaufnahmen von den Teilnehmern gemacht werden. Diese Filmchen konnte man sich dann später im Internet anschauen. Ein netter Service.
Als ich zum eigentlich Start in die Innenstadt von Brügge fuhr legte sich schnell ein Nässefilm auf meine Brille nieder. Diese ‚Nebelnässe‘ entwickelte sich wohl doch zu einem richtigen Regen?! Schei…
Um ca. 7:45 machte ich mich schließlich vom Marktplatz in Brügge auf den Weg. Früher durfte man dort noch von der Rampe/Bühne starten, auf der am nächsten Tag die Profiteams vorgestellt würden. Das gab es seit einigen Jahren auch nicht mehr. Dadurch ging auch viel Flair von dieser früher mal tollen Hobbyveranstaltung verloren. Stattdessen fuhr man ganz unspektakulär durch einen dieser aufgeblasenen Startbögen.

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Da ich ziemlich spät dran war ging es mit kleinen ‚versprengten‘ Gruppen auf die ersten Kilometer. Die meisten der ca 4500 ‚Langstreckler‘, also der Teilnehmer, die die ganze Strecke von 245km fahren würden, hatte sich wohl schon um 7:00 pünktlich auf den Weg gemacht. Der Großteil der 16000 Teilnehmer verteilte sich auf den kürzeren Strecken, die jeweils im Zielort Oudenaarde gestartet wurden.
Nach wenigen Kilometern bewahrheitete sich meine Befürchtungen schon. Bei gerade mal 4°C wurde der Nieselregen zu einen richtigen Regen. Schnell war ich völlig durchnässt. Der stramme kalte Wind tat ein übriges dazu, das ich ziemlich schnell auskühlte. Das beunruhigte mich noch viel mehr. Nichts gegen Regen- aber Kälte dazu…?
Auf der zunächst flachen anspruchslosen Strecke gab es kaum Möglichkeiten um sich irgendwie warm zu fahren. Es dauerte daher auch nicht lange: ich fror bitterlich! Keine zwei Stunden auf dem Rad und schon stieß ich an meine Grenzen.
Ich spürte irgendwann meine Finger nicht mehr und zog meine völlig durchnässten Handschuhe aus. Meine Finger waren steif gefroren. In nassen Handschuhen würden sie niemals trocknen. Ich konnte den Schalthebel nicht mehr wie gewohnt von außen drücken um heraufzuschalten, sondern mußte von innen mit der Hand am Hebel ziehen. Zu diesem Zeitpunkt quälten mich schon die ersten Gedanken an eine Aufgabe. Mein Blick schweifte über die wolkenverhangenen graue nasse Landschaft. Dunkle Trostlosigkeit und unendliche Kälte.
Ich beobachtete meine Mitfahrer. Verzerrte Gesichter, von der Kälte entstellt. Die meisten litten wohl genauso wie ich…

Als ich die erste Verpflegungstelle erreichte, fischte ich mit steifgefrorenen Fingern mein Handy aus der nassen Trikottasche. Ich rief meine Begleitung an und informierte sie vorsorglich darüber, das ich wohl schon bei der ersten Durchfahrt in Oudenaarde (dem Zielort) aussteigen würde- falls sich das Wetter bis dahin nicht entscheidend ändern sollte. Ich würde mich aber dann noch mal melden. Ich hatte es also noch nicht ganz aufgegeben. Meine Begleitung wollte eigentlich erst am späten Nachmittag im Auto von Brügge nach Oudennaarde kommen.
Die Verpflegung war auf einem weitläufigen Parkplatz eines Supermarktes aufgebaut. Ich sah an den Fahnen rechts und links des Platzes wie stark der Wind wirklich blies. Kein Wunder warum ich so fror. Zum Glück hatte ich bisher Rückenwind. Oder zum Pech? Wenn ich körperlich mehr arbeiten müßte, würde ich vielleicht auch wieder auf Betriebstemperatur kommen?! Wie gesagt- zu diesem Zeitpunkt hoffte ich nur noch, das der Regen aufhören, oder das die erste Steigung kommen würde- oder am besten Beides!
Als ich irgenwie einige Verpackungen der Waffeln und Kekse mit den Zähnen geöffnet (mit meinen druchgefrorenen Fingern funktionierte das nicht mehr) und gegessen hatte, setzte ich mich wieder zitternd auf mein Rad.

Nachdem ich Zeuge davon wurde wie ein Radfahrer einen Mopedfahrer in einem Kreisverkehr umgefahren hatte (wußte gar nicht, das so etwas überhaupt möglich ist), erreichte ich nach 90km, oder 3h Fahrzeit, irgendwie die erste Steigung, die in Flandern Helling genannt werden- den Tiegemberg. Und tatsächlich: mir wurde etwas ‚wärmer‘. Aber die darauffolgende Abfahrt holte mich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Kurz darauf erreichte ich schon die zweite Verpflegung. Irgendwie kann ich mich gar nicht mehr daran erinnern wo diese war und wie ich sie erreicht hatte. Ich hatte nur damit gerechnet das diese Verpflegung NACH Oudenaarde kommen würde. Egal. Auch dort hatte ich trotz allem die Nahrungsaufnahme nicht vernachlässigt. Das weiß ich noch. Ich glaube dort hatte ich auch meine Kette bei der Servicestation von Shimano ölen lassen. Der Regen hatte nämlich mittlerweile fast aufgehört. Wenigstens kam jetzt keine eisige Nässe mehr von oben.

Die Stadt Oudenaarde erreichte ich erst wenig später. Jetzt mußte ich eine Entscheidung treffen. In meinen nassen Klamotten war mir immer noch unendlich kalt. Aber der Regen hatte aufgehört! Und dann dachte ich an dieses ganze Theater wie Anreise, Benzinkosten, Hotel, Startgebühr und und und- dieser ganze Aufwand für nur 110 nasskalte Radkilometer???? Ich fuhr weiter. Ich rief meine Begleitung also nicht wieder an.

Mit frisch geölter, geschmeidiger Kette, aber steifgefrorenen Beinen ging es bald darauf über die ersten flachen Kopsteinpflasterstücke. Ich spürte zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal so etwas wie ‚Spaß‘. Der Ritt über die Steine machte trotz schwerer Beine tatsächlich ‚Spaß‘!? Seit vielen Jahren war ich zu dieser Veranstaltung mal wieder ohne besondere ‚Vorbereitung‘, durch Veranstaltungen wie dem Omloop Het Niewsblad oder E3 Prijs, angereist. Jetzt wurde mir erst so richtig bewußt, wie ich die Fahrerei auf dem Kopfsteinpflaster vermisst hatte.
Irgendwann dann mein geliebter Molenberg. Auf schmierigen, glatten schlammverschmierten braunen Steinen drückte ich mich diese kurze Helling hinauf. Oben die Windmühle, der Gegenwind. Das ist Flandern!
Als nächstes stand die 2300m lange Paddestraat auf dem Programm. Mittlerweile fror ich nicht mehr so sehr, meine Klamotten trockneten bei 10°C nur langsam. In den tiefhängenden dunklen Wolken zeigten sich die ersten Lücken. Mit viel Schwung jagte ich über diese leicht ansteigende Passage.

Kurz darauf die nächste Verpflegung. Mittlerweile konnte ich mit meinen kalten Fingern die Verpackungen wieder öffnen ohne meine Zähne zur Hilfe nehmen zu müssen. Ich aß wieder viel von diesen süßen belgischen Waffeln. Daneben gab es Bananen, Honigkekse und manchmal auch Salzstangen oder sogar aufgerollte Schinkenstückchen. Eine willkommene deftige Abwechslung zu diesem ganzen Süßkram.

Dann ging es weiter durch die ‚flämischen Ardennen‘. Rauf und runter. Eigentlich ging der Tanz jetzt erst so richtig los. Eine steile Rampe nach der nächsten. Manchmal aspahltiert, manchmal ‚Kasseien‘. Der Ritt über diese knackigen Anstiege schlauchte ungemein. Durch meine Friererei auf den ersten 100km hatte ich wohl schon zu viel Energie gelassen?! Ich nahm die Steigungen nicht so geschmeidig, wie ich mir das vorher gewünscht hatte. Irgendwie fühlte ich mich kraftlos. Meine aufkeimende Euphorie legte sich sich schnell wieder.
Nach Kilometer 180 erreichte in den gefürchteten Koppenberg. Vor den bekannten Helligen (Koppenberg, Oude Kwaremont und Paterberg) waren diesmal relativ strenge Kontrollen, bei denen Fahrer herausgewunken wurden, die keine Startnummer am Lenker hatten. Zudem waren Umleitungen eingerichtet, auf denen man die schwierigen steilen Hellingen umfahren konnte. Ich blieb immer auf der Strecke und wollte es wenigstens versuchen. Innerlich stellte ich mich am Koppenberg aber auf eine Laufpassage ein.
Als ich in die ‚Wand‘ einbog empfing mich auch dort ein brauner schlammiger Untergrund und als mein Hinterrad im bis zu 22% steilen Abschnitt zum dritten Mal auf den glatten Steinen durchrutschte, stieg ich ab. Mit meiner viel zu geringen Geschwindigkeit schaffte ich es einfach nicht genug Zug auf das Hinterrad zu bekommen. Aber egal. In den alptraumhaften Morgenstunden hatte ich nie dran gedacht diesen Koppenberg heute überhaupt zu erreichen…
Im flacheren Teil setzte ich mich wieder auf mein Rad. Was solls, weiter gehts.

Auf der leicht abfallenden Kopfsteinpflasterpassage Mariaborrestraat kettete ich das große Blatt und flog mit meinem 15kg Stahlrenner auf 28er Reifen über die Steine. Das machte wieder Spaß. Weniger Spaß machte der Platten, den ich kurz darauf hatte. Aber da sich mittlerweile immer mehr Wolkenlücken zeigten, konnte ich den Reifenwechsel tatsächlich bei Sonnenschein erledigen. Zudem kam ein Mann mit einer Standpumpe unter dem Arm von einem der zahlreichen Begleitwagen auf mich zugerannt; und der Reifen war schnell wieder auf sieben Bar aufgepumpt.
Die nächsten Hellinge forderten wieder viel Kraft. Vor allem die Steigungen Kaperij und Kanarienberg überraschten mich etwas. Irgendwie fühlten sich die Steigungen länger an als sonst.
So war ich ziemlich kaputt als ich endlich die finalen Anstiege Oude Kwaremont und Paterberg erreichte. Zum Glück gab es Rückenwind am Kwaremont und am Paterberg waren die Steine schon abgetrocknet und ich konnte fahrend diese steile Helling hinter mich bringen.

Dann ’nur‘ noch ca 10km flache Kilometer bis ins Ziel.
Als die Strecke in Kerkove rechts abbog kam der stramme Wind natürlich wieder von vorne. Ich hoffte auf eine größere Gruppe die mich auch bald von hinten ‚aufrollte‘. Ich versteckte mich in deren Windschatten und ließ mich mit meinen schweren schmerzenden Beinen nach 9:20h reiner Fahrzeit ins Ziel tragen.

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Ziel_2
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Fazit:

Morgens 4°C und fast fünf Stunden Dauerregen.
Ich habe so gefroren wie schon lange nicht mehr. Eine Woche danach hatte ich immer noch taube Fingerkuppen.
Ich habe ja nix gegen Regen, oder Kälte, oder Wind. Aber alles zusammen war diesmal (fast) zu viel für mich. Als ich das erste mal nach Oudenaarde kam, war ich kurz davor auszusteigen.
Ich habe die neue Erfahrung gemacht, das ich bei aktuell 66kg bei 1,81 Körpergröße kaum noch ‚kälteresistent‘ bin.
Die Nässe und eisige Kälte hatte mich regelrecht fertig gemacht. Für den anspruchsvollen Teil der Strecke mußte ich dann mehr Energie und Kraft aufbringen als ich vorher bereit war zu investieren. Und das machte mich so richtig sauer!!
Es gab ja mal Zeiten da fand ich es umheimlich toll, wenn ich mich durch wiedrigste Bedingungen gekämpft und es schließlich dann doch irgendwie ‚geschafft‘ hatte. Aber selbst dieses Gefühl blieb diesmal aus….

Und einen Tag später bestes Wetter für die Profis! *kotz*

Das war wohl meine letzte Teilnahme.

Filme und Zeitnahme (Startnummer 2533 eingeben):

http://www.sport.be/rondevanvlaanderen/2015/en/mypage/?bibnumber=2533

Aufzeichnung Strava (Garmin ist leider ‚abgesoffen‘ und hat Schrott aufgezeichnet):

http://www.strava.com/activities/279498217

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